Melid-Lana

Der Raum war groß. Größer als die Turmzimmer in den unteren Etagen; und er war ganz im Stil der Ayleid gestaltet, mit schwungvollen Säulen und feinen Fresken. Obwohl in einigen Nischen Welkynd-Kristalle fahlblau glühten, war der Raum in ein dämmerhaftes Dunkel gehüllt. Nur an zwei Säulen prangten noch pulsierend leuchtende Runen, die aber rasch verblassen würden.

Vor den Säulen, exakt in der Mitte des Raumes, stand eine hochgewachsene Gestalt. Sie hatte lange grau-weiße Haare und trug eine schlichte Robe aus Ebengarn. Die Arme hielt sie verschränkt, während sie erwartungsvoll in den Alkoven zwischen den Runensäulen schaute.

Eine Gestalt löste sich dort gerade aus den Schatten, eine humanoide Figur, kleiner als er selbst und auch graziler… fließender… Sie lehnte sich sogleich an eine der Säulen, so als wolle sie mit ihr eins werden. Man hätte auch meinen können, sie würde sich im Raum umsehen und die Umgebung in sich aufnehmen.






“Wieso hast du mich gerufen?”, sprach sie mit einer akzentuierten weiblichen Stimme.

Der Mann in der Mitte blickte die Gestalt interessiert an. “Brauche ich einen Grund?”

“Wieso?”, wiederholte die Getalt ihre Frage. In ihrer Stimme lag ein Hauch von bemutternder Ironie.

Der Mann blickte an den Säulen empor, entlang der archaischen Runeninschriften. Die Runen waren weit davon entfernt, Allerweltswissen zu sein. Er hatte fast drei Tage für die Vorbereitungen benötigt.

“Der Mundus wankt, und die Achse mit ihm. Die Zeichen sind beunruhigend. Ich nehme an, das dürftest auch du gespürt haben. Es ist wie ein Stechen im tiefsten Mark, ein pfeifender Wind, der von überall kommt und uns erschauern lässt. Und der Pakt bröckelt.”

“Poetische Anwandlungen”, sagte die Gestalt spöttisch. “Aber warum sollte uns das kümmern? Wind und Wetter, Mark und Bein. Erscheinungen einer sich wandelnden Welt.”

Die Runen waren nun vollends verblasst. Einzig die Welkynd-Steine, in denen die Ayleid das Licht der Sterne einfangen konnten, gaben dem Raum nun ein wenig Licht; wenn man es überhaupt so nennen könnte. Von draußen wehte eine leichte Brise hinein und ließ die Luft entfernt nach Salz schmecken.

Der Mann legte den Kopf leicht schief. Unter seinen langen Haaren kamen seine spitzen elfischen Ohren zum Vorschein. Mit verwunderter Stimme fragte er: “Gehören nicht auch wir zum Mundus?”

Der Kopf der Gestalt schien ihn nun zu fokussieren. Für einen kurzen Moment spiegelte sich das Glimmen des Raums bläulich in zwei kleinen Punkten wider, wo man in einem Gesicht Augen vermuten würde. “Wir harren hier der Tage, Jahre und Äonen aus, bis der Betrug nichtig wird.”

“Und dann?”

“Gehen wir.”

Der Mann ließ die Hände sinken. Er blickte nach links, wo eines der großen Fenster einen Blick in den bewölkten Nachthimmel ermöglichte. Große Wolkenberge zogen schnell vorüber und am Horizont konnte man bereits das dunkle violette Band eines neuen Morgens sehen. “Nirn kann so nicht zurückgelassen werden. Oblivion ist in Aufruhr. Es bliebe noch viel zu tun, jene auf das vorzubereiten, was kommt.”

Die Gestalt löste sich nun von der Säule. Fast einen Augenblick später war sie an einem der Licht spendenden Kristalle angelangt. Obwohl sie kaum mehr als Stoff gewordener Schatten zu sein schien, hatte sie weibliche Züge. Ab und an liefen Bänder aus Rot und dunklem Grün an ihr hinunter und lösten sich am Boden in Nichts auf. Sie hatte dem Elf den Rücken zugewandt, während ihre filigrane schattenhafte Hand über den Welkynd strich.

“Du hast ein Bild gemalt? Von Ada-Mantia?”

Er musste leise lachen. “Beeindruckend. Deine Gabe der Wahrnehmung ist nicht getrübt, trotz deiner selbst gewählten Isolation. Ja, ich habe ein Bild des Nullturms angefertigt. Und ich erzähle ihnen vom Gefüge der Türme.”

“Nostalgie.” Die Stimme der Gestalt hatte etwas Verächtliches. “Die Zeiten des Gefüges sind lange vorbei und der Sinn ist verloren. Es bleibt ihnen verwehrt, das ‘I’ zu sehen, so klein sind sie geworden. Die anderen Abbilder Ada-Mantias sind nicht mehr; zumindest die meisten, und Weißgold wird immer noch belagert. Wie du selbst sagst: Der Pakt bröckelt.”

“Steinfeuer…”, erwiderte der Elf.

“...ist und bleibt ein Gefangener seiner selbst. Seit dem Anbeginn. Veränderung ist nicht immer gleich Zerstörung, vor allem nicht um der bloßen Zerstörung Willen. Seine Pläne hat er nicht aufgegeben, aber er wurde einstweilen verlangsamt. Das aber hat andere auf den Plan gerufen, denn die Schwäche Nirns wurde einmal mehr offenbar.”

“Ich habe Aquilarios noch einmal getroffen. Er sprach von einem Sturm in Oblivion. Er sagte, die D’aedra wählen sich eine Seite aus. Veränderungen stehen an.”

Die Gestalt wandte sich abrupt um. Da war es wieder, das sanfte blaue Funkeln, dort wo Augen gewesen wären. “Aquilarios! Seine Sterblichkeit hat ihn geblendet. Fast wäre Nirn durch seine Eitelkeit verschlungen worden. Eitelkeit und die Einflüsterungen dieses verzogenen Psijics, den sie von Artaeum verbannt haben.”

Der Elf hob abwehrend beide Hände. “Ich bitte dich. Mannimarco ist sicher vieles. Aber verzogen?”

“Jeder Sterbliche, der ein Gott werden will, ist verzogen, weil er seine Stellung im Mundus nicht wertschätzt. Das trifft auf Mannimarco zu und auch auf die drei Elfenkinder, die nun in Resdayn Gott spielen: Almalexia, Sotha Sil und Vivec. Sie zehren einmal im Jahr vom Herz des Betrügers und wähnen sich damit in den Sphären der Unsterblichen. Kleingeistig!”

Der Elf lächelte schief: “Ich sehe, ich muss dir nicht von meinen Reisen erzählen. Du hast dich bereits kundig gemacht. Und ich dachte, die Welt da draußen”, er machte eine ausholende Handbewegung in Richtung eines der Fenster: “würde dich nicht mehr interessieren.”

Die Gestalt hielt einen Moment inne. Dann machte sie unvermittelt ein, zwei Schritte in Richtung des Elfen und war ihm mit einer fließenden Bewegung plötzlich sehr nahe.

“Diese Welt ist mein - ist unser - Zuhause. Aus Not, sicher, aber dennoch. Wer sagt denn, ich würde mich nicht für die Welt interessieren? Aber ich diene Prinzipien, die dieser Welt so innewohnen, wie kaum sonst etwas.” Sie wandte sich ab. “Aber gut, wir müssen Veränderungen zulassen, auch, wenn sie nicht von uns selbst stammen. Die Letzten sind fort nach Aetherius. In den Sternen sehen wir ihre letzte Reise. Und wir wissen, warum wir die Nacht und die Sterne so lieben. Die Welt, Nirn, muss nun ohne sie auskommen und die Zeiten überdauern. Doch wir sind geblieben. Aber wir alle blicken einem Ende entgegen, egal, wann es nun kommen wird. Das ist ein Teil des ‘I’, das die kurzlebigen Völker nicht mehr verstehen können.”

“Dennoch könnten wir etwas bewirken, wenn wir schnell handeln. Schnell und beherzt.”

Mit einem weiteren Schritt stand die Gestalt nun ebenfalls an einem der großen Fenster. Der Blick nach draußen, wo sich über dem Meer ein Sturm zusammenbraute, war atemberaubend. Erste Blitze zuckten durch den Himmel.

“Du warst bereits beherzt, Menel-Ganid. Erst der Seelenbruch, dann die Ebenenverschmelzung. Und du hast mit den Kurzlebigen Molag Kena gebannt. Er war nicht sehr begeistert, ich habe seinen Groll gespürt. In Mark und Bein, wie du sagen würdest. Dann der Ausbruch der Schlange aus dem Firmament und das Ausbooten von Krieger, Magier und Dieb. Die Konstellationen jedoch sind wieder dort am Firmament, wo sie immer waren. Eine bemerkenswerte Errungenschaft, nicht ganz ohne Anstrengung.”

Sie sah ihn wieder mit dieser mutterhaften Ironie an: “Und nun? Du willst wieder ‘beherzt’ sein? Ich frage dich wiederum: Warum hast du mich gerufen?”

Der Elf seufzte laut: “Ich kann mich nicht damit abfinden, dass diese Welt ein Spielball derer wird, die sie sich einverleiben wollen, Türme hin oder her.“

“Und du willst ihnen entgegen reiten?”

Er nickte ihr entgegen: “Mit dir und den anderen? Vielleicht.”

Sie schien sich abwesend durch das zu streichen, was man bei einem Menschen oder Elfen Haare hätte nennen können. “Sei nicht töricht. Es ist unabwendbar. Und es wären unzählige Verbündete vonnöten, über die diese Welt nicht verfügt; vor allem nicht nach dem Sturz des Imperiums. Diese Kleingeister zanken über eine Ansammlung von Bauklötzen, während sie nicht wissen, dass ihr Schicksal längst bestimmt ist.”

Der Elf wog nachdenklich den Kopf hin und her. “Es dürfte im Interesse des Ordens der Psijic sein, dem entgegenzutreten.”

Der Schatten seufzte: “Die Psijics. Ja, einst schienen die Alten Wege des Mystizismus einen Ausweg aufzuzeigen, aber dem Streben nach Erkenntnis zum Zwecke der Erleuchtung des Geistes ist die Obsession gewichen, alles in Kategorien zu ordnen und dem Erlangen von Macht unterzuordnen. Sieh dir jene an, die diese zweifelhafte Errungenschaft ihr Eigen nennen: Mannimarco, Vanus Galerion, Sotha Sil, Divayth Fyr…”

“Artaeum und die Ordensfeste liegen immerhin in der Domäne der Altmer.”

“Die Mer haben ihren Glanz eingebüßt und sich über die Jahrhunderte in den Reigen der Machthungrigen eingereiht. Und die Menschen dieser Ära…”

Der Elf breitete die Arme aus: “Was ist mit den Menschen?”

“Was soll mit ihnen sein? Sie sterben. Allein das steht fest. Die Frage ist nur, wann. Nicht einmal das ‘wodurch’ ist wichtig.”

Er sah sie eindringlich an: “Unsere Aufgaben bleiben dieselben, ganz wie zum Anbeginn des Paktes. Der Übereinkunft.”

“Darum geht es nicht. Es geht darum, Wege aufzuzeigen, wie der Betrug zurückgenommen werden kann. Und dann werden wir frei sein.”

“Werden wir das? Ich frage mich manchmal, ob Veränderung nicht auch für uns bedeutet, uns damit abzufinden, was geschehen ist. Du sprichst doch selbst davon, dass das Schicksal vorherbestimmt ist.”

“Du willst als sterbliche Hülle auf Nirn wandeln? Gesperrt in einen Körper, der verdorrt und mit einem Geist, der zu klein für uns ist?”

“Du fragtest nach dem Grund. Ich nenne dir einen. Genügt das?”

Die Gestalt zögerte. Fast war es so, als würde sie zu Boden starren. “Vielleicht.”

“Es gibt noch einen anderen. Ich bitte dich, zu bleiben. Zumindest eine Zeit lang.” Nun war er es, der einen Schritt auf die Gestalt zu machte. Sie wich nicht zurück, und sie waren sich nun auf gut zwei Schritte nah.

“Mein Platz war immer hier”, sagte die Gestalt. “Das weisst du. Er ist meine Aufgabe. Wie soll ich ihn verlasen?”

Der Elf sah wieder aus dem großen Bogenfenster, die Blicke in den Himmel gerichtet. “Sonne-und-Stern. Du könntest entlang der Linien reisen. Diese Seelensteine…” Er holte einen Beutel aus blauem Samt hervor und öffnete ihn vor ihr. Zum Vorschein kam eine Handvoll violett leuchtender großer Seelensteine. Jeder von ihnen war in der Mitte durch einen Ring aus einem silberweißen Metall eingefaßt. Auf dem Ring waren Runen eingraviert, den Runen ähnlich, die zuvor an den Säulen des Raums geglüht hatten.

Sie beugte sich ein wenig vor. “Ich weiß, die Alten Pfade. Die alten Machtlinien sind immer noch intakt und sie folgen dem Lauf der Sterne. Corvus war weise genug, ihre wahre Bedeutung zu verschleiern und ihnen das Aussehen harmloser Wegschreine für irgendwelche Götzen zu geben.”

“Er hat ein Buch darüber geschrieben. Heute ist es eines der Standardwerke zur Portalmagie.”, sagte der Elf, nicht ganz ohne Ironie in seiner Stimme.

“Ja, er war weise; aber nicht immer klug.”

Beide schmunzelten.

“Ich bitte dich also.” Der Elf sah sie wieder an: “Wache über das Herzland. Ich werde wieder zum Roten Berg reisen.”

“So neugierig, wie der neue Morgen. Du wirst dort aber nichts finden, nur Enttäuschung; und einen drittklassigen Dichter, der denkt, ein Gott zu sein.”

“Jemand bat mich, meinen Blick nach Morrowind zu richten.” Er zögerte, da er wusste, was nun kommen würde: “Jemand aus alten Tagen.”

“Sie?”, entfuhr es der Gestalt.

“Die Herrin des Nachthimmels, ja. Wächterin Resdayns. Der Erste Turm bebt. Und es heißt, der Nerevarine sei erwacht. Ich werde mir also ein Bild vor Ort machen, denn man kann nicht alles immer nur nachlesen. Und da der Pakt bröckelt, brauchen wir vielleicht auch ‘andere’ Verbündete.”

“Plausibel, aber absurd! Aber du konntest ihr noch nie wiederstehen. Ich sage ja, wir wissen, warum wir die Nacht und die Sterne so lieben. Und auch mit Anid-Zura ist es so. Aber die Nacht kann auch tückisch sein, und es würde mich nicht wundern, wenn sie dich umgarnt, um ihre eigenen Ziele zu erreichen. Bedenke: Sie ist nicht umsonst in Oblivion. Sie hat einst ihre Seite gewählt, ebenso wie Merid-Nunda.”

Seine rechte Hand berührte die Gestalt dort, wo man eine Wange vermuten könnte. Aber es war zu dunkel. “So kalt, so hart wie Adamant. Mundus verdient es, denkst du nicht?”

Sie sah nochmals in den Beutel mit den Seelensteinen darin. “Also gut, eine Zeit lang.”

Er zog sanft die Hand zurück und nickte knapp: “Danke, Melid-Lana.”

Mit zwei fließenden Schritten durchs Dunkel des Raumes war die Gestalt wieder in jenem Alkoven, in dem sie dem Elfen zuerst erschienen war. Sie blickte sich zu ihm um.

"Ich brauche einen Körper. Warte draußen.”, sagte sie halb spöttisch, halb ernst.

Der Elf nickte nur und ging.